Deutschland auf dem Weg zur Dystopie - Romanrezension

24 Januar 2018

Ich glaub' das zu träumen.
Die Mauer im Rücken war kalt,
Schüsse reißen die Luft,
doch wir küssen als ob nichts geschieht
und die Scham fällt auf ihre Seite.
Nur wir könn' sie schlagen
für alle Zeiten.
Dann sind wir Helden für diesen Tag
(Heroes - David Bowie - Cover von Milliarden)





Titel: Neanderthal - Die Jagd ist eröffnet
Autor: Jens Lubbadeh
Seitenanzahl: 528
Verlag: Heyne
Erschienen am: 13. Dezember 2017
Leseprobe: Klick hier





Inhalt


Drehen wir doch mal die Zeit Deutschlands ein paar Jahre nach vorne und betrachten eine mögliche Zukunft unseres Landes:
Der Gesundheitstrend, den du schon heute bei deinen Freunden und vielleicht sogar an dir selber beobachten kannst, steht im Zenit seiner Entwicklung. Ausgewogenen Ernährung, tägliche körperliche Bewegung und "Genkorrektur" sind fester Bestandteil des Alltags.
Was passiert nun in solch einer Welt, wenn eine unbekannte Gefahr auftaucht, die droht jahrzehntelange Planung und den gesunden Genpool der deutschen Bevölkerung zu vernichten?
Wie könnte so ein Bedrohung möglicherweise aussehen? Ein mutiertes Bakterium? Ein neues Virus? Eine Seuche?
Oder gar nur eine handvoll Menschen, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort befinden und irgendwie anders sind als wir... Kann man sie überhaupt noch Menschen nennen?
Nein, ich rede weder von der Justice League noch von den Avengers.
Ladies und Gentlemen, die Neandertaler kehren zurück!


Erster Satz


Das Gesicht sah aus wie ein Puzzle, dessen Teile nicht zusammenpassten.

Meine Meinung

Nach dem grausamen Leckerbissen, den wir bereits drei Monate vor dem Roman, in Form eine überschaubaren Kurzgeschichte von ca. 20 Seiten, vorgeworfen bekamen, war ich dezent (!) gespannt auf den eigentlichen Krimi.
Aktuelle Entwicklungen in einer nahen Zukunft freien Lauf zu lassen war bereits in dem ersten Roman des Autors, Unsterblich, die Vorgehensweise der Dystopie einen guten Schuss Realität und somit nicht zuletzt Grusel zu verpassen. Statt dem menschlichen Streben nach Unsterblichkeit befassen wir uns dieses Mal mit dem Traum der körperlichen und geistigen Perfektion. Wie weit würde eine Nation, eine Gruppe Politiker oder wir selber gehen für diese Illusion der Selbstdarstellung?
Durch seinen neutrale Schreibweise gibt Lubbadeh seinen Lesern Raum, diese Fragen ernsthaft zu überdenken und sich eine unabhängige Meinung zu bilden. Dieses Motiv fiel mir bereits in seinem Debütroman auf und da ich es zu schätzen gelernt hatte, erhoffte ich es hier wiederzufinden.
Mein Wunsch erfüllte sich, selbst wenn du die letzte Seite Neanderthals gelesen hast, kannst du nicht mit 100 prozentiger Sicherheit sagen, was die eigen Meinung des Autoren ist. Vielleicht hat er sich noch gar nicht entschieden, diese Themen sind ja ungeheuer komplex und nicht leicht zu bewerten.
Manche könnten befinden, dass die Erzählung sich zu oft in wissenschaftlichen Ausschweifungen verliert und aufhält, doch mit kommen diese gerade recht und ich habe sie gerne und mit Interesse verfolgt. Sie gaben mir das Gefühl, gut an das Thema herangeführt zu werden.

Waren Neandertaler die besseren Menschen?


Den Science Fiction Aspekt fand ich diesbezüglich ebenfalls inspirierend. Jens Lubbadeh hatte schon in Unsterblich eine eher "realistische" und bescheidene Zukunft beschrieben, ohne Raumschiffe und reitende Affen. Vielmehr siehst du immer noch unsere Welt hinter dem Schleier der gemalten Welt Lubbadehs. Auch die Dystopie Elemente sind nicht zu bunt und horrormäßig und beziehen sich eher auf einen tieferen, soziopolitischen Sinn. Statt zerstörten Städten mit grausamen Tyrannen siehst du dich eher mit einer Gesellschaft mit erschreckenden Wertvorstellungen konfrontiert, deren Ansätze du bereits in den Zeitungen von heute lesen kannst.
Versteht mich nicht falsch, ich mag beide Stile total gerne, wie ich jetzt herausgefunden habe, sowohl die fantasiereichen, apokalyptischen Versionen als auch diese etwas schlichter und sachlicheren. Denn auch wenn keine Zombies vorkommen, bzw. vielleicht genau deswegen bereitet die Zukunftsvorstellung aus Neanderthal mir genauso Gänsehaut wie I am Legend & Co.

Dock kommen wir mal weg von der philosophischen Seite (auch wenn ich mich nur allzu gerne darin verliere) und gehen weiter zu den wirklichen Handlungssträngen. Etwas, was mir bei Unsterblich überaus gefallen hat, war die Durchdachtheite des gesamten Plots.
Der Held hat keinen Plan, die Geschichte aber durchaus. Jedenfalls sollte es so sein. Zu oft habe ich das Gefühl, dass Autoren einem zu simplen Rezept folgen und selber nicht wissen, wo ihre Geschichte enden wird. Nicht jedoch hier. Hier kannst du dich noch an dem Lesespaß erfreuen, nicht zu wissen, was auf den nächsten Seiten geschrieben steht und für die Auflösung aller Rätsel musst du bis zum bitteren Ende warten. Der Spannungsbogen ist somit meiner Meinung nach überaus gelungen.

Der letzte Punkt, den ich noch anschneiden möchte, sind die Figurenkonstellationen. Hier muss ich nämlich sagen, dass ich im Großen und Ganzen nicht so glücklich war damit. Sarah und Max, die zwei Hauptpersonen über den größten Teils des Romans, sind einzeln durchaus interessant und sympatisch, doch zusammen als Team wollten sie mir nicht so wirklich gefallen. Ebenso wie die Hauptantagonistin, deren Geschichte ich teilweise sehr gerne verfolgte, bloß wenn es in den erotischen und wortwörtlich kranken Teil überschwenkte, war es mir schnell etwas zu viel.
Ich weiß, dass dies der Gipfel an Subjektivität ist, doch solche Kritik gehört nun auch mal dazu und letztendlich kann man dagegen eher wenig machen.

Um langsam zu einem Ende zu kommen, hier ein paar zusammenfassende, finale Worte:


Fazit


Neandertal erzählt eine inspirierende Geschichte, die zum Nachdenken über unsere Zukunft anregt. Dystopische Motive wurden eher schlicht ausgeführt, sodass der Roman nicht den Bezug zum Heute verliert und manche Situationen durchaus schon jetzt vorstellbar sind. Die Handlung ist bis ins feinste Detail durchdacht und zusätzlich mit wissenschaftlichen Ausschweifungen aufgewertet worden. Einzig und allein die Charaktere (nicht alle) haben für mich Schwächen aufgezeigt und waren mir eher weniger sympatisch, was mich manchmal aus der Story geworfen hat.
Somit ist Neanderthal ein gelungener Science-Fiction-Thriller/Krimi für Leser, die sich fragen, wohin unsere Gesellschaft sich mit etwas Fantasie entwickeln könnte.

3,5 von 5 Punkten

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